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Drillingsraum: In Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn haben Sie den Schwerpunkt auf die theoretische Festkörperphysik und den Magnetismus gerichtet. Was fasziniert Sie an dem Thema?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Der Magnetismus ist eines der ältesten Phänomene der Physik, und eines der fundamentalsten. Er enthält eigentlich fast alle Bereiche der Festkörpertheorie. Zugleich ist der Magnetismus aber auch ein wirklich hochaktuelles Thema. Hochaktuell deswegen, weil dieses alte Phänomen bis heute nicht richtig verstanden ist. Das heißt, es bleibt ein Problem der Grundlagenforschung, und das macht mir Spaß. Mein Hauptaugenmerk galt eigentlich immer der Grundlagenforschung, herauszufinden warum es den Magnetismus überhaupt gibt. Ich hatte es vorhin schon zusammen mit der Spintronik erwähnt: Der Ferromagnetismus spielt in praktisch allen Zweigen der technologischen Entwicklung eine Rolle. Wenn Sie eine wissenschaftliche Zeitschrift aufschlagen, die sich mit Festkörperphysik beschäftigt, würde ich fast meinen, dass 40% aller Arbeiten direkt oder indirekt mit Magnetismus zu tun haben.

Drillingsraum: Bevor wir zu den quantenmechanischen Aspekten des Magnetismus kommen, zuerst mal eine Frage aus einer Ebene weiter oben. Dort sind es die sogenannten Weiss-Bezirke, die eine entscheidende Rolle beim Magnetismus spielen. Was versteht man darunter?
"Der Magnetismus
ist ein rein
quantenmechanisches
Phänomen"
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Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Im Ferromagnetismus spielen sie eine Rolle. In einem Festkörper gibt es Elementarmagnete die sich spontan, aus irgendeinem Grund, parallel stellen. Spontan heißt: Nicht von außen erzwungen.

Drillingsraum: Das sind schon die Weiss-Bezirke?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Nein noch nicht, das sind Elementarmagnete. Die sind vergleichbar mit kleinen Kompassnadeln, die stellen sich parallel. Die entscheidende Frage hier ist: Warum machen die das? Wenn wir einen Realkristall haben, ein makroskopisches System, dann stellt sich heraus, dass es für den Ferromagneten energetisch günstiger ist, nicht den gesamten Kristall parallel zu ordnen, sondern immer nur kleinere Bereiche. Das sind die Weiss'schen Bezirke. Dort hat man eine volle Magnetisierung, eine volle Ausrichtung der magnetischen Momente. Interessant sind die Übergänge zwischen den Weiss'schen Bezirken, dort ändert sich die Magnetisierungsrichtung. Diese Übergänge nennt man „Bloch-Wände“. Die würde ich gerne mal richtig verstehen. In Lehrbüchern gibt es immer nur solche anschaulichen Bilder. Im Kittel, dem Standardwerk der Festkörperphysik, wird gezeigt wie sich das so langsam dreht, ähnlich einer Spirale. Das möchte ich aber noch aus ganz prinzipiellen Überlegungen ableiten können, quantenmechanisch.

Drillingsraum: Sie haben auch 2 Bände mit dem Namen „Quantentheorie des Magnetismus“ veröffentlicht. Worauf beruht das Phänomen des Magnetismus aus Sichtweise der Quantenmechanik?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Wenn Sie wirklich streng klassisch rechnen, gibt es keinen Magnetismus. Das können Sie beweisen. Der Magnetismus ist ein rein quantenmechanisches Phänomen. In den meisten Büchern wird er mit Vektormodellen beschrieben. Wenn man das aber mal genau analysiert, stellt man fest, dass all diese Modelle irgendwo quantenmechanische Elemente drin haben. Entscheidend für den Magnetismus ist ein fundamentales Prinzip der Quantenmechanik: Das ist das Prinzip der Ununterscheidbarkeit identischer Teilchen. Identische Teilchen sind Teilchen, die in all ihren Eigenschaften übereinstimmen. Genauer gesagt, in ihren

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"Das Phänomen
Magnetismus
ist bis heute
nicht richtig
verstanden"
unveränderlichen Eigenschaften wie Masse, Ladung, Spin und so etwas. In der klassischen Physik könnte man Teilchen markieren und dann verfolgen, obwohl sie identisch sind: Man kann zu einer bestimmten Zeit ihre Position messen und später feststellen, wohin sich die einzelnen Teilchen bewegt haben. Das geht in der Quantenmechanik nicht mehr. Beim Magnetismus stellen Elektronen diese Teilchen dar, das sind identische Fermionen. Das Ganze muss man jetzt in einen Formalismus packen und aufpassen, dass sich diese Teilchennummerierung nicht auf die Physik niederschlägt. Durch bestimmte Prinzipien weiß man,

dass die Wellenfunktionen einen bestimmten Symmetriecharakter haben müssen: Bei Fermionen müssen sie antisymmetrisch gegenüber einer Vertauschung von Teilchen sein. Wenn man das in quantenmechanischer Schreibweise mit Operatoren und den sogenannten Bra- und Ket-Zuständen beschreibt, kommt man zu genau dieser Vertauschung von Teilchen. Auf der einen Seite haben wir die Teilchen i und j, auf der anderen Seite umgekehrt. Diese Terme gibt es in der klassischen Physik gar nicht. Aber in denen steckt das, was nachher zur kollektiven Ordnung der Momente führt, und damit zum Magnetismus.

Drillingsraum: Aus quantenmechanischer Sicht spielen virtuelle Teilchen bei Wechselwirkungsprozessen eine wichtige Rolle. Was sind das für Teilchen?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Das sind fiktive Teilchen, mit denen man einen Prozess beschreibt. Die heißen so, weil sie eben keine richtigen Teilchen sind. Einen Wechselwirkungsprozess kann man sich häufig sehr schön dadurch vorstellen, dass die beteiligten Teilchen sich eine Art Ball zuwerfen. Das gilt auch für Teilchen, die auf irgendeine Art korreliert sind. In der Supraleitung wären das beispielsweise die Cooper-Paare. Um das Ganze zu berechnen, gibt es einen bestimmten Formalismus, bei dem man durch die Erzeugung und Vernichtung von Teilchen eine Wechselwirkung beschreiben kann.

Drillingsraum: Was sind dann Quasiteilchen?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Quasiteilchen, da muss ich einen Satz ausholen. In normalen Systemen wie Festkörpern, Gasen oder Flüssigkeiten befinden sich größenordnungsmäßig 10^20 bis 10^23 Teilchen in einem Kubikzentimeter. Das ist eine Zahl, die kann man sich gar nicht vorstellen. All diese Teilchen wechselwirken ganz kompliziert miteinander, es wäre unmöglich für jedes davon die Schrödingergleichung hinzuschreiben. Das geht nicht, das ist mathematisch zu komplex. Selbst wenn wir demnächst Computer haben, die 10^23 Bewegungsgleichungen lösen können, bräuchte man immer noch jemanden, der hinterher den Output interpretiert. Eine Methode, oder anders gesagt, die Methode schlechthin ist die der Vielteilchentheorie. Das ist eine selbstständige Disziplin in der theoretischen Physik, die komplizierte Systeme auf einfache Systeme

abbildet. Was wir immer beschreiben können sind beispielsweise ideale Gase, Fermigase, Bose-Gase, klassische Gase, die kann man beschreiben. Wenn es uns gelingt, das wechselwirkende System darauf abzubilden, können wir viele Gesetzmäßigkeiten aus dieser bekannten Theorie übernehmen. Und natürlich ist es nicht so, dass Sie schlicht und einfach
"Die Masse
kann sogar
negativ
werden"
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abbilden können und plötzlich löst sich alles in Wohlgefallen auf, das wäre sehr schön, sondern: Sie müssen dafür zahlen. Das heißt, die Teilchen die nachher kaum oder gar nicht mehr wechselwirken, sind eigentlich keine richtigen Teilchen, sondern das sind dann diese Quasiteilchen. Die haben andere Energien und andere effektive Massen als die normalen Teilchen, die Masse kann sogar negativ werden. Zudem haben sie eine endliche Lebensdauer, sie zerfallen so wie radioaktive Teilchen. Manchmal muss man ein Teilchen auch in mehrere Quasiteilchen zerfallen lassen, einfach um diese Abbildung hinzukriegen.

Drillingsraum: Quasiteilchen können doch auch in einem Kristallgitter entstehen. Als Störung, die durch das Gitter hindurchläuft. Und diese Störung hat ähnliche Eigenschaften wie ein Teilchen.

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Ja genau. Wenn man es als Störung in einem Gitter formuliert, würde man es „Phonon“ nennen. Wenn sich ein Elektron durch ein solches Kristallgitter bewegt, wird es aufgrund seiner Ladung natürlich irgendeine Reaktion hervorrufen. Das beschreibt man dadurch, dass Phononen ausgetauscht werden, und zwar jetzt wieder virtuelle.

Drillingsraum: Ein virtuelles Quasiteilchen sozusagen.

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Ja. Das würde ich hier dann gleichsetzen, virtuell und quasi. Das Elektron läuft so durch das Gitter, als ob es eine Wolke von Phononen um sich herum hätte.

Drillingsraum: Der Diamagnetismus spielt eine große Rolle bei der Supraleitung. Zudem kann man mit seiner Hilfe interessante Sachen machen und Frösche oder andere Dinge zum Schweben bringen. Was ist der Unterschied zwischen dem normalen Ferromagnetismus, den wir von den Kühlschrankmagneten her kennen, und dem Diamagnetismus?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Das ist relativ einfach: Der Ferromagnetismus braucht permanente magnetische Momente. Das heißt, im Festkörper müssen permanente Momente existieren. Zudem braucht es noch diese ominöse Austauschwechselwirkung, die beim Magnetismus eine entscheidende Rolle spielt. Und dadurch ordnen sich dann diese Momente. Bei Diamagneten ist es dagegen so, dass es dort keine permanenten

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"Der Magnetismus ist
eines der ältesten
Phänomene der Physik,
und eines der
fundamentalsten"
magnetischen Momente gibt. Man kann jetzt aber durch das Anlegen eines externen Feldes Magnete induzieren, das haben Sie bestimmt in der Elektrodynamik gelernt. Dort gibt es eine Lenz'sche Regel, die besagt: Das induzierte Feld ist dem erregenden Feld entgegengerichtet.

Drillingsraum: Damit kein Perpetuum Mobile entsteht.

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Richtig, zum Beispiel. Also kurz gesagt: Ferromagneten haben permanente magnetische Momente, Diamagneten per definitionem nicht.

Drillingsraum: Eine weitere Form wäre der Paramagnetismus. Was zeichnet diese Form des Magnetismus mikroskopisch gesehen aus, und wo findet sie Anwendung?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Das ist genau das Zwischending. Da gibt es permanente magnetische Momente, aber keine ausreichende Austauschwechselwirkung. Dadurch ordnen sich die Momente nicht. Diese Momente kann man mit Vektoren beschreiben, die einen bestimmten Betrag haben. Und wenn die Richtungen der Vektoren statistisch verteilt sind, hebt sich das insgesamt auf und es gibt kein resultierendes Moment.

Drillingsraum: Was hat es letztendlich mit den Feldlinien auf sich, bei der Gravitation gibt es sowas ja nicht...

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Es gibt ja eigentlich keine magnetischen Monopole. Beim Magnetismus sind das immer Dipole. Das heißt, Sie müssen sich überlegen, welchen Weg ein Probeteilchen wählen würde, um von der einen Stelle zur anderen zu kommen. Die Feldlinien zeigen eben genau diesen Weg. Der Experimentator kann das ganz gut mit Eisenspänen darstellen, die ordnen sich längs dieser Feldlinien an. Der Theoretiker kann das weniger. Es ist einfach der energetisch günstigste Weg für ein Teilchen, um von einem Pol zum anderen zu kommen. Die Feldlinien werden repräsentativ angelegt. Die sind nicht diskret, da gibt es nicht wirklich einen Zwischenraum. Nur die Stärke ändert sich. Das drückt man in einer Zeichnung eben dadurch aus, dass man bei hohen Feldstärken eine hohe Feldliniendichte zeichnet und umgekehrt. Das ist einfach eine Veranschaulichung.

Drillingsraum: Wo liegen heute die Brennpunkte der Forschung im Bereich Magnetismus?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Die Spintronik würde ich heute als Thema schlechthin ansehen. Das ist einfach die anwendungsbezogene Komponente des Magnetismus. Damit kann man wirklich viel Geld verdienen, um es mal platt auszudrücken, so wie mit dem Riesenmagnetowiderstand.

Drillingsraum: Dafür gabs ja sogar den Physik-Nobelpreis, ich glaube vor zwei Jahren war das.

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: 2007 wars, ja. Peter Grünberg und Albert Fert haben den bekommen. Der Riesenmagnetowiderstand ist ein Effekt, der heute in allen Computern und Festplatten vorzufinden ist. Das ist natürlich etwas, was stimuliert. Da wird jetzt auch alles Mögliche unternommen, um darauf aufbauend noch andere Phänomene zu bekommen, das wird regelrecht ausgeschlachtet. Wir beschäftigen uns hier mit den verdünnten ferromagnetischen Halbleitern. Bei einem idealen Halbleiterbauelement wie Galliumarsenid oder

Silizium wird eigentlich immer nur ausgenutzt, dass das Elektron geladen ist. Sie werden sich an entsprechende Vorlesungen erinnern. Wenn es jetzt aber gelingt, auch noch den Magnetismus da einzubauen, kann man auch den Spin als Informationsüberträger
"Es gibt ja
eigentlich keine
magnetischen
Monopole"
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nutzen. Das Elektron hat ja einen Spin, das hat es natürlich auch vorher schon gehabt, nur jetzt will man das eben ausnutzen. Es gibt einfach energetische Unterschiede, je nach dem ob es sich um einen Spin-Up oder einen Spin-Down Zustand handelt. Gelingt es nun, die Ladung und den Magnetismus gleichzeitig als Informationsüberträger zu nutzen, verspricht das eine Menge Fortschritt. Die Informationsübertragung wäre schneller, und die Informationen wären nicht mehr flüchtig. Denn wenn man ein Speichermedium ausstöpselt, kann es sein, dass die Daten weg sind. Zudem wären solche Spintronik-Systeme günstiger, energetisch gesehen. Tagtäglich bekommt man Vorschläge mit neuen Funktionen und Anwendungsmöglichkeiten auf den Tisch. Das Problem ist nur, wie sich das alles realisieren lässt. Eine ganz triviale aber wichtige Frage ist: Wie schaffe ich es, einen Halbleiter ferromagnetisch zu machen? Das nützt mir aber auch nur dann etwas, wenn die kritische Temperatur des Ferromagneten, diese Curie-Temperatur, über der Raumtemperatur liegt. Man will die Geräte ja im Zimmer nutzen, deshalb müssen diese Spin-Effekte auch bei Raumtemperatur beobachtbar sein. Das ist eine der Hauptforschungsstoßrichtungen im Moment.

 
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