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Drillingsraum: Im November 2009 wurden in Deutschland viele Unis von Studenten besetzt, um gegen Studiengebühren und den Bologna-Prozess zu demonstrieren. Wie schätzen Sie diese Situation ein, was muss Ihrer Meinung nach an deutschen Unis geändert werden?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Die Frage der Studiengebühren, das ist natürlich ein ganz heikles Thema. Ich habe das Gefühl, dass man letztlich nicht um Studiengebühren herumkommt, um die Universität am Leben zu erhalten. Studiengebühren machen natürlich nur dann Sinn, wenn sie den Universitäten und letztendlich wieder den Zahlenden zugute kommen. Außerdem sollte die Höhe der Gebühren auf einem solchen Level liegen, dass sie nicht zum Ausleseverfahren werden und manche Leute schon deswegen nicht studieren können. Es muss ein System geschaffen werden, das fair ist. Wenn jemand die Studiengebühren wirklich nicht aufbringen kann, sollte

er von dieser Pflicht befreit werden. Sonst würde ich sagen: Wenn man von den Universitäten Leistung verlangt, und das ist ja so, sollte man auch eine gewisse Bereitschaft zeigen, dafür etwas zu zahlen. Das muss aber wirklich ein ganz moderater Betrag sein.
"Ich bedauere
die Studenten schon
ein bisschen"
wolfgang_nolting

Drillingsraum: Also Studiengebühren ja, wenn sie fair sind.

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Sie sollten sehr fair sein, moderat sein, und wirklich den Universitäten zugute kommen.

Drillingsraum: Sind sie im Moment fair? 500 Euro sind es im Semester.

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Halte ich für relativ hoch. In Berlin hat man ja noch keine Studiengebühren. Sagen wir mal so, für meinen Sohn wären 500 Euro kein Problem.

Drillingsraum: Studiert der auch Physik?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Der hat Mathematik studiert. Das hätte ich auch ohne Weiteres für ihn gezahlt, mit einem gewissen Einsehen, dass es vernünftig ist. Aber ich kenne Leute, intelligente Leute, da ist es ein Problem gewesen. Es hat eine Entscheidung provoziert: Mach' ich's, oder mach' ich's nicht? Das darf auf keinen Fall sein. Da ich noch nicht so in dieser Materie drin bin, kann ich schlecht einschätzen, ob man ein System hinkriegen kann, in dem es wirklich keine Härten mehr gibt. Wenn ich hier in Berlin über die Beitragshöhe zu entscheiden hätte, würden es auf jeden Fall weniger als 500 Euro sein.

Drillingsraum: Bleibt noch der Bologna-Prozess.

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Ich bin sehr in dieses Bachelor-Programm involviert, ich lese es gerade wieder für die Erstsemester. Wir haben uns da lange gesträubt. Ich fand's furchtbar, dass wir unser Diplom abschaffen mussten. Sie haben vorhin erwähnt, dass ich an einigen exotischen Stellen war. Dort merkte man, dass die Leute mir gegenüber immer eine gewisse Hochachtung entgegengebrachten, schon alleine deshalb, weil ich in Deutschland studiert habe. Das tat der eigenen Eitelkeit zwar sehr gut, war aber erstmal unabhängig von meinem tatsächlichen Können. Das Diplom war hoch angesehen, und ich habe nicht wirklich den Sinn darin erkannt, warum wir das aufgegeben haben. Wir haben uns dann gesagt: Es ist politisch nicht vermeidbar, irgendwann wird es kommen. Ob wir jetzt noch zwei Jahre warten oder nicht, macht da nicht wirklich einen Unterschied. Wir hier vom Hause wollen es eigentlich nicht, aber wir konnten es nicht vermeiden. Besser das Ganze dann schon zu einem Zeitpunkt einführen, an dem man vielleicht selbst noch ein wenig dran drehen kann. Es ist aber so, dass wir jetzt eigentlich genau das selbe Programm machen wie vorher beim Diplom, nur der Name ist anders.

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"Ich ärgere mich
natürlich, wenn in
meiner Vorlesung
jemand einschläft,
aber ich habe
menschliches
Verständnis dafür"

Drillingsraum: Ist in München auch so.

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Ein Unterschied liegt allerdings darin, und das ist ein wichtiger Punkt, dass die Bachelor- und Masterstudenten eine Vielzahl an Prüfungen machen müssen. Das ist ein arges Handicap.

Drillingsraum: Was unter Anderem auch ein Grund für die Studentendemos im November 2009 war.

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Richtig, und ich weiß nicht, ob ich das als Student in meinen ersten schweren Semestern durchgestanden hätte. Wenn's läuft, ist es prima. Es gibt ja immer so eine

Oberschicht, der alles leicht fällt, die ist auch systeminvariant. Ich meine systemresistent, denen können Sie alles mögliche überstülpen, die werden immer ihren Weg gehen. Aber es geht ja vor allem um die anderen, normalen Studenten. Die ganz schlechten werden natürlich immer Schwierigkeiten haben, und wenn man das System noch so angenehm gestaltet. Die große Masse, die wir brauchen, da die später unsere Forschung macht, hat es jetzt sehr schwer und ich bedauere die Studenten schon ein bisschen. Manche gehen vielleicht deswegen nicht streiken, weil sie es einfach nicht anders kennen. Die Anforderungen sind meiner Ansicht nach zu hoch. Dazu kommt dieser Zeitdruck, die haben ja ein unglaubliches Programm. Wenn ich meine Vorlesung in theoretischer Physik halte, die für den Einen oder Anderen sicherlich anspruchsvoll ist, haben die Studenten manchmal schon 4 Stunden Vorlesung hinter sich. Da könnte ich die Augen gar nicht mehr aufhalten. Ich ärgere mich natürlich, wenn in meiner Vorlesung jemand einschläft, aber ich habe menschliches Verständnis dafür. Die Leute können auch keine Sekundärliteratur mehr lesen, die müssen ja Vorlesungen nacharbeiten. Mal so richtig in die Bibliothek gehen und stöbern, dafür ist keine Zeit mehr.

Drillingsraum: Wenn Sie eine Sache an Ihrem Job ändern könnten, was würde das sein, was nervt Sie?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: An meinem Job? Also ein bisschen nervt dieser Erfolgsruck schon. Mich nervt die Tatsache, dass man jetzt nur noch nach Statistiken eingeschätzt wird, nach der Anzahl der Publikationen und Zitationen, es gibt einen so genannten Hirschfaktor der jetzt große Kreise zieht, man wird nach Rubriken eingeteilt, wird einsortiert, auch nach eingeworbenen Drittmitteln. Das ist eine Entwicklung, die mir überhaupt nicht gefällt, aber das ist die Diagnose. Die Therapie kenne ich auch nicht. Vielleicht gibt es auch keine, weil es wahrscheinlich nicht anders geht. Aber wie gesagt, wenn man in Berufungskommissionen sitzt und mehrere Kandidaten hat, die alle hochqualifiziert sind, muss man die natürlich irgendwie aussortieren. Das geht über Statistiken, man schaut, wer hat wenig publiziert, wer viel, wer hat in den richtigen Zeitschriften publiziert. Ich weiß zum Beispiel nicht, warum der Wert meiner Arbeit davon abhängt, in welcher Zeitschrift sie publiziert wird. Meine Arbeit ist die selbe. So funktioniert das aber mit diesen Auswahlverfahren.

Drillingsraum: Machen wir einen Zeitsprung zurück, sagen wir in die Zeit, als Sie gerade Ihr Studium abgeschlossen haben. Würden Sie, was Ihre wissenschaftliche Laufbahn angeht, alles nochmal genauso machen?
"Das ist die
Diagnose. Die
Therapie kenne
ich auch nicht"
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Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Da müsste ich tiefer drüber nachdenken. Es gibt sicherlich ein paar Punkte die ich anders gemacht hätte, gerade in der Übergangszeit von der Habilitation zur Professur. Ich hätte zum Beispiel früher darauf achten sollen, mehr auf Konferenzen zu erscheinen, und zwar nicht nur in den Vortrag zu gehen, sondern nachher auch ans kalte Buffet.

Drillingsraum: Connections.

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Genau dieses. Da habe ich, zumindest in der ersten Zeit, Fehler gemacht. Ich habe das zu sehr schleifen lassen. Sonst glaube ich, dass es meinem Potential entsprechend richtig gelaufen ist.

Drillingsraum: Was machen Sie wenn Sie sich nicht gerade mit der Physik herumschlagen, wie erholen Sie sich von Ihrem Job?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Früher habe ich wie gesagt viel gelesen, das ist mit der Zeit aber irgendwie flach gefallen. Meine ganzen Probleme habe ich immer in sportliche Aktivitäten umgesetzt, Ärger kann ich am besten abarbeiten, indem ich durch den Wald renne. Ich habe früher Mannschaftssport gemacht, war lange Handballer und auch Leichtathlet. Mit zunehmendem Alter wurde man natürlich mehr Individualist, ich jogge jetzt noch regelmäßig, gehe regelmäßig ins Fitnessstudio, und natürlich kommen mit dem Alter so gewisse Zimperleien, die die ganze Sache ein bisschen herabsetzen. Vom Umfang her mache ich aber die selbe Sportmenge wie vor 20, 30 Jahren. Nur nicht mehr so intensiv. Ich habe nie in der Nähe von Bergen gelebt, Skifahren kann ich leider nicht, aber so etwas könnte ich mir auch sehr gut vorstellen. Im Alter lassen die sportlichen Aktivitäten leider nach, mit 100 kann man nicht mehr so viel machen. Da muss dann ein anderes Hobby her.

Drillingsraum: Bingo?

Prof. Dr. Wolfgang Nolting: (lacht) Sowas zum Beispiel. Nein, irgendwann werde ich ins Golfalter kommen. Manche Leute spielen ja schon sehr früh Golf, ich fühle mich aber noch zu jung dazu. Ich will auch wieder mehr lesen.

Drillingsraum: Wie sehen Ihre Pläne für die Zeit nach der Universität aus?

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"Irgendwann
werde ich ins
Golfalter kommen"
Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Offiziell bin ich seit dem 1. April diesen Jahres pensioniert, aber gleich im Anschluss daran habe ich von der Humboldt-Universität eine Senior-Professur bekommen, diese Sache läuft jetzt noch zwei Jahre. Die mache ich auf jeden Fall noch. Das ist ein Programm,

das die Senatsverwaltung aufgelegt hat, es geht darum, die Lehre an den Universitäten zu verbessern. Das sollen eben Leute machen, die schon Lehrerfahrung haben, und die sich vielleicht auch halbwegs vernünftig gezeigt haben. Dabei habe ich auch die Gelegenheit, mir eine kleine Forschungsgruppe zu erhalten. Aber die wird kleiner werden, und demnächst wird es einen Nachfolger für mich geben. Die Raumfrage wird dann ein Problem darstellen, aber eine kleine Forschungsgruppe würde ich ganz gerne behalten. Erfahrungsgemäß kann man auch nur dann gute Vorlesungen halten, wenn man wirklich weiß, was gerade in der Physik geschieht. Und irgendwann wird es dann adiabatisch auslaufen, hoffentlich adiabatisch. So wird es sein.

 

Vielen Dank für das Interview.

 
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