Ein Stoff sorgt für Aufsehen

Manchmal könnte man meinen, es würde wieder etwas ruhiger werden um die populärtauglichen Themen der modernen Physik. Die schwarzen Löcher haben sich etwas zurückgezogen, Zeitreisen sind Kino von gestern und die nächste Sonnenfinsternis kommt auch nicht vor dem Jahr 2081. Zumindest nicht in Deutschland. Aber dann kam Dan Brown mit Illuminati, und ein weiteres Mal sorgt ein physikalischer Stoff für Spannung: Diesmal ist es die Antimaterie, die für die Dramaturgie herhalten muss. Antimaterie der Terroristenstoff, der den Vatikanstaat bedroht. Antimaterie der Superbrennstoff, der alle Energieprobleme der Welt löst. Antimaterie der Apokalypsenstoff, der nach dem Urknall fast das ganze Universum wieder vernichtet hat. Aber was genau ist denn nun Antimaterie? Der folgende Artikel wird all den eben erwähnten Aspekten auf den Zahn fühlen und zuallererst einmal zeigen, dass Antimaterie selbst eigentlich nichts Besonderes ist.

Was ist Antimaterie?

Antimaterie ist eigentlich nicht viel außergewöhnlicher oder exotischer als gewöhnliche Materie. Alles, was sie zu einem Sonderling macht, sind die umgepolten Ladungswerte der einzelnen Elementarteilchen. Ein Beispiel: Wer in der Schule gut aufgepasst oder früher viel Knoff-Hoff geschaut hat weiß vielleicht noch, dass Atome aus 3 verschiedenen Bausteinen bestehen: Es sind die Elektronen, Protonen und Neutronen. Rechts im Bild sieht man, dass bei normaler Materie die Protonen im Atomkern eine positive Ladung tragen, die umherschwirrenden Elektronen dagegen eine negative. Bei der Antimaterie ist es genau umgekehrt: Im Außenbereich schwirren nun an Stelle der Elektronen positiv geladene „Positronen“, und im Atomkern haben negativ geladene Antiprotonen den Platz der normalen Protonen eingenommen.

 
Antimaterie zeichnet sich durch die entgegengesetzte Ladung bestimmter Elementarteilchen aus. Beispielsweise werden Protonen durch Antiprotonen, Elektronen durch Positronen ersetzt.

Quarks als Grundbausteine

Und was ist mit den Neutronen? Obwohl sie in beiden Fällen keine elektrische Ladung tragen, sind die Neutronen in Materie und die „Neutronen“ in Antimaterie unterschiedliche Teilchen. Hier muss man jetzt etwas genauer hinsehen: Denn eigentlich sind es gar nicht die drei eben erwähnten Atombausteine, die einfach ihre Ladung umkippen, sondern die Quarks, aus denen diese Atombausteine aufgebaut sind. Diese Teilchen sind noch grundlegender als die 3 Atombausteine, und haben auch nichts mit Joghurt o.ä. zu tun. Von den Quarks gibt es wiederum verschiedene Sorten mit bestimmten Eigenschaften. Kippt man ganz bestimmte Eigenschaften davon um, unter anderem die elektrische und die sogenannte Farbladung, wird aus einem Quark ein Antiquark. Genaugenommen muss man also sagen: Normale Materie besteht aus Quarks, Antimaterie aus Antiquarks. Die greifbare Welt um uns herum besteht letztlich nur aus Up-Quarks, Down-Quarks und Elektronen. Die anderen Quarks sind instabil und zerfallen nach kurzer Zeit.

 
Der Stoff, aus dem Atome sind: Quarks sind die grundlegensten Elementarteilchen, die wir heute kennen. Tauschte man diese 6 Teilchen durch ihre Antiteilchen aus, hätte man eine Welt aus Antimaterie, die genauso gut so funktionieren könnte wie die unsere. Das legendäre Wu-Experiment hat jedoch gezeigt, dass Materie und Antimaterie letztlich doch mehr Unterschiede in ihrem Verhalten zeigen, als zuerst vermutet.

Kann man Antimaterie im Labor herstellen?

Kann man. Zwar nicht in einem konventionellen Chemielabor mit Bunsenbrenner und Reagenzgläsern, aber in großen Forschungszentren mit Teilchenbeschleunigern. Diese Maschinen haben als Herzstück eine Art Tunnel, in dem winzige Teilchen auf sehr hohe Geschwindigkeiten und schließlich zur Kollision gebracht werden. Im Prinzip funktioniert die „Herstellung“ von Antimaterie dort nach folgendem Rezept: Man nehme ein paar Elementarteilchen, gebe sie vorsichtig in den Beschleunigertunnel, bringe sie unter extremen Geschwindigkeiten zur Kollision und beobachte was dabei rauskommt. Wenn man Glück hat sind bei der Kollision Antiteilchen entstanden. Denn Energie (in Form von Photonen, die dort auch entstehen) kann laut E=mc² in Materie umgewandelt werden. Man hat nun beobachtet, dass bei dieser Umwandlung immer zu gleichen Teilen Materie wie Antimaterie entsteht, ganz von selbst sozusagen. Am Forschungszentrum „CERN“ hat man es 1996 zum ersten mal geschaft, ein Atom aus Antimaterie herzustellen: Den Antiwasserstoff.

 
Schön wär's, aber die Herstellung von Antimaterie ist kein chemischer, sondern ein grundlegend physikalischer Prozess. Er gelingt bis heute nur unter enormem Energieaufwand in großen Teilchenbeschleunigern.

Materie trifft Antimaterie

Mögen Sie Glühwürmchen? Wenn Sie nachts schonmal welche gesehen haben dann bestimmt. Diese schwebenden Bioglühbirnen senden Licht aus, wenn sie auf Partnersuche sind. Ist ein Partner gefunden, wird das Licht ausgemacht. Bei der Antimaterie ist es, wie könnte es anders sein, genau umgekehrt. Trifft Materie auf Antimaterie, vernichten sich die beiden Teilchen gegenseitig indem sie in reine Energie zerstrahlen. Aber was ist reine Energie? In diesem Fall sind es Photonen, also Lichtteilchen, die bei der Annihilation entstehen, wie diese Vernichtung physikalisch auch noch genannt wird. Im Gegensatz zu den Glühwürmchen wird es also erst hell, nachdem sich die beiden entsprechenden Partner gefunden haben. Die Energiemenge, die bei diesem Vorgang frei wird, ist enorm: Sie genügt Einsteins bekannter Formel E=mc², welche besagt, dass Materie und Energie ineinander umgewandelt werden können, und dass in wenigen Gramm Materie Energiemengen stecken, die ausreichen würden, einen Haushalt jahrelang mit Strom zu versorgen.

 
Antimaterie trifft auf Materie. Die Teilchen vernichten sich gegenseitig, wodurch soviel Energie in Form von Licht frei wird, wie laut E=mc² in den Massen der beiden Teilchen steckte.

Kann man Antimaterie speichern?

Wer darauf hofft, 50 Gramm Antimaterie vom Genfer Forschungszentrum „CERN“ bestellen und sich auf den Schreibtisch stellen zu können, sollte hier noch etwas weiterlesen. Es geht nämlich nicht. Und wenn man den Text eins weiter oben gelesen hat, weiß man auch gleich warum: Sobald Antimaterie auf normale Materie trifft, vernichtet sich beides gegenseitig unter Freisetzung enormer Energiemengen. Antimaterie kann also nicht einfach auf einen Güterzug geschüttet und abtransportiert werden, der Zug würde sofort zerstrahlen. Samt Bahnhof. Die einzige Möglichkeit Antimaterie zu konservieren gelingt mit geschickt gerichteten elektromagnetischen Feldern, die in einer Art Falle Antimaterie gefangen halten können. Das funktioniert natürlich nur mit geladenen Teilchen, wie zum Beispiel den oben schon erwähnten Positronen und Antiprotonen (den Antiteilchen zu Elektronen bzw. Protonen), da neutrale Teilchen nicht auf das elektromagnetische Feld ansprechen. Nachteil: Es ist dadurch nicht möglich, größere Mengen Antimaterie zusammen zu speichern, da sich die Teilchen aufgrund ihrer Ladung abstoßen würden.

 
Einzige Möglichkeit, Antimaterie über längere Zeit zu speichern: Mittels elektromagnetischen Feldern müssen die Teilchen in einen stabilen Schwebezustand versetzt werden, um den Kontakt mit normaler Materie zu vermeiden. Passiert dies doch, gibt's einen großen Lichtblitz und alles ist dahin.

Antimaterie im frühen Universum

Eigentlich dürften wir überhaupt nicht hier sein. Wenn Energie in Masse umgewandelt wird, tut sie das zu gleichen Teilen in Materie wie in Antimaterie. Treffen die Teilchen später wieder zusammen, wird alles greifbare Sein im Universum wieder ausgelöscht. Aber wir sind hier. Die Frage ist nun: Warum? Denn beim Urknall ist Energie in Materie und Antimaterie zerfallen, zu gleichen Teilen, müsste man meinen. Ein Blick aus dem Fenster zeigt uns aber, dass es beim Urknall offensichtlich mehr Materie als Antimaterie gegeben haben muss, ansonsten hätte sich ja alles wieder eins zu eins vernichtet und dieser Text würde, genau wie Sie, nicht existieren. Woher kommt nun dieser Überschuss an Materie? Wir machens kurz: Das weiß bis heute niemand. Es gibt nur vage Theorien darüber. Man weiß aber, wie groß dieses Ungleichgewicht gewesen sein muss: Auf 1.000.000.000 Antimaterie-Teilchen kamen 1.000.000.001 Materie-Teilchen. Also ein nur winzig kleiner Überschuss an Materie, der nicht durch Annihilation vernichtet wurde. Und dieses winzige Ungleichgewicht macht heute die ganze Materie unseres Universums aus.

 
Beim Urknall entstanden auf 1.000.000.000 Teilchen Antimaterie 1.000.000.001 Teilchen normale Materie. Woher dieses winzige Ungleichgewicht kommt, stellt eine große Frage der heutigen Physik dar. Jedenfalls haben wir es diesem Ungleichgeicht zu verdanken, dass sich das Universum kurz nach dem Urknall nicht wieder komplett vernichtet hat.

Energie aus Antimaterie

Die Energie, die bei der Verschmelzung von Materie und Antimaterie frei wird, könnte man doch wirtschaftlich nutzen, so der Gedanke vieler Antimaterie-Enthusiasten. Leider gibt es da 2 technisch kaum überwindbare Probleme: Das erste besteht darin, dass wir überhaupt keine Antimaterie zur Verfügung haben, die wir verheizen könnten. Es gibt sie nicht auf der Erde, und auch im Universum hat man noch keine größeren Mengen entdeckt die wir anzapfen oder bergmännisch abbauen könnten. Also: Keine Antimaterie, keine Energie, keine Sorgen für die weltlichen Ölkonzerne. Selbst wenn wir diesen exotischen Brennstoff irgendwo finden oder irgendwie sonst zur Verfügung hätten, müsste er, und hier kommen nun eine ganze Reihe von Problemen, immer noch transportiert, umgefüllt, gelagert, getankt und zur Fusionskammer geführt werden. Und bei keinem dieser Schritte dürfte die Antimaterie mit normaler Materie in Berührung geraten, sonst knallts. Ach übrigens: Die Antimaterie auf der Erde herzustellen macht natürlich auch keinen Sinn, da der dafür benötigte Aufwand weit über das hinausgeht, was die spätere Teilchenfusion wieder an Energie freisetzen würde.

 
Bleibt erstmal Zukunftsmusik: Die Herstellung von Energie aus Antimaterie. Es gibt einfach zuviele technische Probleme, wie z.B. die Speicherung oder der Transport von Antimaterie, die kaum zu überwinden sind. Dazu kommt, dass wir überhaupt keine Antimaterie zur Verfügung haben. Weder hier auf der Erde, noch sonstwo.
 
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