Interview mit dem deutschen Astronauten Ulrich Walter

Teil 2: Über die aktuelle Raumfahrt und die ISS

 

Drillingsraum: Der Bau der ISS ist das derzeit größte Weltraumprojekt. Nach ihrer Fertigstellung soll sie bis zum Jahr 2016 in Betrieb bleiben. Wenn man davon ausgeht, dass die Station wie geplant im Jahr 2010 fertig ist, sind das lediglich 6 Jahre aktiver Forschungsbetrieb. Warum nur so kurz?

Ulrich Walter: Ja, das liegt an Folgendem, das hat zwei Gründe: Zunächst einmal hat so eine Raumstation ein natürliches Alter, genauso wie ein Auto. Wenn Sie ein Auto kaufen, hat das typischerweise ein natürliches Alter zwischen 7 und 10 Jahren. Und eine Raumstation hat auch sowas. Was begrenzt die Lebensdauer einer

Raumstation: Nun, das sind die Abnutzungen gerade in Sachen Solarzellen, also der Stromversorgung. Aber, und das wissen die Leute auch nicht: es ist die Verpilzung. Die Astronauten geben ja Ausdünstungen ab, das führt zu einer Patina auf der Innenseite.
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Und zwar gerade an den unmöglichsten Ecken, und auch überall dort, wo man nicht hinkommt. Da bilden sich also viele Bakterien und Pilze, und die verpilzen das Ganze. Deswegen wird die Atmosphäre und das Leben auf so einer Raumstation eigentlich immer unschöner. Tatsächlich beginnt's mit der Zeit da drin ordentlich zu stinken, ja. Nur merkt man davon halt nichts, weil man den eigenen Mief nicht mehr riecht, wenn man mal einen Tag lang da drin ist. Aber das ist das natürliche Ende der Raumstation.

Drillingsraum: Was genau wird später alles auf der ISS von Statten gehen? Was wird man dort erforschen?

Ulrich Walter: Nicht nur wird, sondern was man auch jetzt schon tut. Ich meine, es gibt ja jetzt inzwischen drei, zweieinhalb Labore dort oben: Das amerikanische, das europäische und dieses halbe Kibō-Labor, was jetzt demnächst erweitert wird. Es sind immer die gleichen Fragen, nämlich Fragen an die Natur, die sich nur dann untersuchen lassen, wenn Schwerelosigkeit herrscht. Also es geht immer um Fragen wie zum Beispiel die Diffusion, also die Eigenschaft von Molekülen in Gasen, sich ganz langsam fortbewegen zu können. Aber nur sehr sehr langsam, das ist eben der Diffusionsprozess. Und diesen Diffusionsprozess kann man auf der Erde praktisch nicht studieren, weil die Konvektion in Gasen dem immer überlagert ist. Aber Diffusion ist ein sehr wichtiger Prozess, und deswegen ist es perfekt wenn man in die Schwerelosigkeit geht. Dort gibt’s keine Konvektion, und deswegen kann man diese Diffusion wunderbar beobachten. Man hat auf unserer Mission damals, zum ersten Mal überhaupt, die Diffusionskoeffizienten messen können. Also die Schnelligkeit, mit der sich solche Atome diffusionsartig bewegen. Das zum Beispiel. Oder: bessere Kristalle ziehen, weil die Kristallgröße durch die Oberflächenspannung und die Gravitation und all sowas beeinträchtigt wird. Wenn man die Gravitation wegnimmt, dann hält nur die Oberflächenspannung den Kristall zusammen, und deswegen kann man wunderschön große Dinge ziehen, die dann auch noch viel homogener sind. Medizin ist auch eine interessante Frage, zum Beispiel das Thema Osteoporose. Astronauten die in der Schwerelosigkeit sind, haben sehr schnell einen Knochenabbau, ähnlich wie im Alter bei Osteoporose. Und deswegen kann man im Weltraum diesen Osteoporoseprozess wunderbar studieren. Also das sind so typische Fragestellungen.

Drillingsraum: Im Februar 2008 wurde das europäische Raumlabor „Columbus“ mit der Raumfähre Atlantis zur ISS gebracht. Welche Aufgaben soll es später einmal erfüllen?

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Ulrich Walter: Tatsächlich wird in den unterschiedlichen Laboren, ob es nun das amerikanische Destiny, das europäische oder das Kibō-Labor von den Japanern ist, immer Ähnliches studiert. Es ist immer Biologie, Medizin, Materialwissenschaften, und Flüssigkeits- oder Gasphysik.

Das sind so die standardmäßigen Bereiche. Aber jede Nation hat einen etwas anderen Schwerpunkt, und deswegen wollen sie immer ihre eigenen Labore. Und bei uns ist es eben auch so, wir haben ein eigenes Biologielabor, Flüssigkeitslabor, Materiallabor.

Drillingsraum: Im Kalten Krieg war die Raumfahrt ein Machtinstrument, man denke nur mal an den Wettlauf zum Mond zwischen der damaligen Sowjetunion und den USA. Heute passiert das Gegenteil: Wir haben große internationale Kooperationen, die zusammenarbeiten um Projekte wie die Internationale Raumstation ISS zu verwirklichen. Inwieweit fördern heutige Raumfahrtprojekte das politische Miteinander verschiedener Nationen?

Ulrich Walter: Es ist interessant zu sehen, dass beides das Miteinander fördert. Also, wie soll ich sagen, dass beides die Verbesserung der Technologien fördert. Ich meine der Wettlauf zwischen den Amerikanern und den Russen hat zu einem unwahrscheinlichen Fortschritt in der Raumfahrt geführt, gerade in den 10, 15 Jahren mit Apollo, das war ein unwahrscheinlicher Fortschritt. Und dann gab's eine Stagnation, weil sich die Russen damals rausgezogen haben. Sie haben dann etwas anderes gemacht, haben sich auf Raumstationen verlegt. Die Amerikaner wollten was anderes, die haben dann das Shuttle gebaut. Und wir sehen jetzt, dass das Miteinander auf der ISS auch fruchtbar ist, denn zusammen erreicht man mehr als alleine. Also die Amerikaner hätten alleine nie eine solch große Raumstation bauen können, und die Russen auch nicht. Da hat's schon die Europäer, die Japaner, und all die gebraucht um wirklich sowas gemeinsam zu bauen. Auf der anderen Seite wurden auch die Grenzen aufgezeigt, also es gab auch viel Streit. Natürlich gibt es das immer, wenn viele zusammen etwas wollen, denn nicht jeder will genau das Gleiche wie der andere. Und deswegen sind die Amerikaner jetzt wieder dabei, selbst zum Mond zu gehen. Obwohl sie andere europäische Staaten dazu eingeladen haben. Aber im Prinzip wollen sie schon alleine gehen. Also es ist wie ein ausgeschwungenes Pendel: Erst gegeneinander, dann alles miteinander, und jetzt sozusagen alleine.

Drillingsraum: Seit der ersten Mondlandung am 20. Juli 1969 hat sich die Raumfahrt vom Prinzip her nicht weiterentwickelt. Wir waren weder weiter weg als der Mond, noch haben wir es geschafft eine Kolonie dort oder sonstwo außerhalb der Erde aufzubauen. Brauchen wir einen neuen Wernher von Braun, um neue Tore in der Raumfahrt zu öffnen?

Ulrich Walter: Nein, das ist einfach nur die blöde Physik, die sich da nicht bescheissen lässt. Wenn wir ein Shuttle haben, wie ich es gerade gesagt habe, kommen wir nicht weiter raus als bis in den erdnahen Orbit. Mit dem Shuttle geht’s einfach nicht anders. Wenn wir weiter raus wollen, wenn wir zum Mond wollen, müssen wir
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eben eine Saturn-Rakete bauen. Die war zwar nicht optimal, aber schon ganz gut. Oder wir machen es jetzt wie die Amerikaner, dass wir wirklich wieder zur Raketentechnik zurückkehren, sozusagen mit kleineren Kapseln drauf, so dass dieses Verhältnis zwischen Nutzlast und Treibstoff wieder besser ist. Und erst dann können wir von der Physik her überhaupt wieder zum Mond oder zum Mars. Und wenn wir solche Geräte haben, machen wir das auch. Und das ist eben jetzt der nächste Schritt.

Drillingsraum: Warum hat es eigentlich seit 35 Jahren keine Mondlandung mehr gegeben?

Ulrich Walter: Ja, das lag eben daran: Das ist eine typisch amerikanische Eigenschaft, nach dem Motto: Wir haben uns ein Ziel vorgenommen, wir haben es geschafft, und jetzt machen wir was anderes. Und dann kam eben das Shuttle, und zwischendurch war ein bisschen Skylab. Naja, und dann ist jetzt die Raumstation dran. Und irgendwann sagen die Amerikaner, jetzt haben wir darin auch die Lust verloren, ich übertreibe jetzt mal ein bisschen, wir wollen eigentlich langfristig zum Mars. Das können wir aber noch nicht so ganz, deshalb müssen wir wiedermal zurück zum Mond, um das den Leuten wiedermal zu zeigen. Und das ist sozusagen ein natürlicher Rhythmus würde ich mal sagen, jetzt wieder zum Mond zu gehen. (lacht)

 
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