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Theodor W. Hänsch
 

Interview mit Physik-Nobelpreisträger Prof. Dr. Theodor W. Hänsch

Teil 6: Interpretationen der Quantenmechanik. Über die Kopenhagener
Deutung, Verborgene Variablen und die Viele-Welten-Theorie

Drillingsraum: Es gibt verschiedene Interpretationen der Quantenmechanik. Die Kopenhagener Deutung beispielsweise nimmt die scheinbar zufälligen Messergebnisse als naturgegeben hin, die Theorie der Verborgenen Variablen dagegen deutet diese Ergebnisse als nicht zufällig aufgrund eventueller Lücken in der Quantentheorie. Was würde es für die Quantenmechanik bedeuten, wenn wir diese Verborgenen Variablen doch noch finden würden?

Prof. Dr. Theodor Hänsch: Also, dass es irgendetwas gibt, das über die Beschreibung durch die Schrödingergleichung hinaus geht, glaube ich schon. Aber es werden nicht klassische Verborgene Variablen sein. Die Beweise dafür sind überwältigend, dass man Quantenkorrelationen, wie man sie jeden Tag beobachtet, nicht mit klassischen lokalen Verborgenen Variablen erklären kann. Aber dass die Quantenmechanik nicht der Weisheit letzter Schluss ist, daran glaube ich schon.

Drillingsraum: Die Viele Welten Interpretation geht davon aus, dass verschiedene Zustände eines Systems in verschiedenen Universen realisiert werden. Da wir aber in nur einer dieser Welten leben, sehen wir auch nur einen realisierten Zustand. Das Ganze hört sich erstmal ziemlich weit hergeholt an. Wieso hat diese Interpretation dennoch so viele Anhänger, worin liegt ihr Vorteil?
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Prof. Dr. Theodor Hänsch: Nun, das halte ich für Unfug. Wir machen statistische Vorhersagen, und in einem Einzelexperiment wird halt nur ein möglicher Fall realisiert. Das ist so, wie wenn ich sage, ich habe eine Schrotflinte. Da weiß ich: Ich habe irgendeine Gauß-Verteilung der Einschüsse. Aber ein einzelnes Schrotkorn trifft halt nur an einer Stelle. Ich muss das Experiment viele Male wiederholen, um auch die anderen Realisierungen beobachten zu können.

Drillingsraum: Welcher Interpretation der Quantenmechanik hängen Sie an?

Prof. Dr. Theodor Hänsch: Die Quantenmechanik ist merkwürdig. Und man kann sie nicht interpretieren, indem man versucht, sie auf unsere klassischen Erfahrungen zurückzuführen. Das klassische Bild, das wir uns gezimmert haben, das ist halt grob vereinfacht. Und es ist prinzipiell nicht möglich, die Quantenmechanik zufriedenstellend durch klassische Bilder zu interpretieren. Ich bin ein Experimentalphysiker, und ich betrachte die Gesetze der Quantenmechanik naiv, als Rechenregeln sozusagen, die empirisch bestätigt sind und mit

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denen wir auch ungeheuer genaue Vorhersagen machen können. Aber ich bin da offen. Wahrscheinlich wird man auch irgendwann einmal die Grenzen dieser Quantenmechanik entdecken.

Drillingsraum: Es gibt Bestrebungen dazu, Experimente zu entwickeln, die aufzeigen könnten welche Interpretation der Quantenmechanik letztendlich die richtige ist. Wie könnten solche Experimente aussehen?

Prof. Dr. Theodor Hänsch: So lange die Interpretationen im Einklang mit dem akzeptierten Formalismus stehen, kann man da prinzipiell nichts unterscheiden. Dann ist das nur Geschmackssache, ob mir das hilft, oder ob es mich eher verwirrt. Und die meisten Interpretationen haben irgendwo doch Paradoxa und unmögliche Aspekte, so dass sie nicht sehr weiterhelfen. Oder ich wechsle einfach die Interpretation je nach der Frage, die ich beantworten will.

Drillingsraum: Wir formulieren so viele Interpretationen, um die Unlogigkeiten in der Quantenmechanik unseren logischen Bedürfnissen anzupassen. Vielleicht gehorcht die Quantenmechanik aber gar nicht unserer Logik, vielleicht gibt es eine Quantenlogik...?

Prof. Dr. Theodor Hänsch: Wenn wir klassisch argumentieren, ja, dann ist es sicher so, dass die Quantenmechanik der klassischen Argumentation nicht folgt. Das Problem ist wohl, dass wir einfach versuchen, klassische Konzepte wie Impuls oder Ort für diese Beschreibungen einzusetzen. Makroskopische Objekte haben

dies. Und deshalb glauben wir, muss ein Quantenobjekt das auch haben. Aber dann kann man damit beispielsweise nicht erklären, wie so ein Fußball-Molekül, also ein Fulleren, Beugungsmuster zeigt, wenn man ihm einen Doppelspalt in den Weg stellt.
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Drillingsraum: Die physikalischen Theorien wurden im Laufe der Zeit immer komplexer. Und noch immer haben wir kein Modell, das unser Universum vollständig beschreibt. Glauben Sie, dass es so etwas wie eine Weltformel überhaupt geben kann?

Prof. Dr. Theodor Hänsch: Man muss es hoffen. Das ist ja sozusagen der Weg der Physik, der so erfolgreich war, dass man eben versucht, die komplexe Welt auf die wesentlichen Mechanismen zu reduzieren. Und wir sind ja sehr weit gekommen mit diesem Ansatz. Ob der uns auch erlaubt, eine Weltformel aufzustellen... Das haben viele versucht, ohne Erfolg. Man weiß es nicht. Und das Problem ist, dass die Welt letzten Endes doch komplex ist. Insbesondere das Vakuum, das uns so harmlos vorkommt, ist ein sehr komplexes Gebilde. Und vielleicht muss man erst die Physik von komplexen Vielteilchen-Quantensystemen verstehen, um da überhaupt Fortschritte machen zu können. Also es könnte sein.

Drillingsraum: Und die letzte Frage: Hatte Schrödinger jemals eine Katze?

Prof. Dr. Theodor Hänsch: (lacht) Wäre wahrscheinlich. Aber ich weiß es nicht...

 

Vielen Dank für das Interview

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