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Seite 3: Definition von Kreativität
Seite 4: Die Intelligenz der Elementarteilchen

   
 

Drillingsraum: In einem Interview haben Sie mal erzählt, aus einem simplen evolutionären Ansatz die spezielle Relativitätstheorie hergeleitet zu haben. Könnten Sie kurz beschreiben, wie Sie da vorgegangen sind?

Dr. Gerd Binnig: Ja, das war ein ganz einfaches System, darüber denke ich übrigens immer noch ein bisschen nach. In der Physik gibt es eine große offene Frage: Was steckt hinter der Quantenmechanik? Da muss etwas dahinter stecken, das ist meine feste Überzeugung. Sie muss erklärbar sein, nicht nur formulierbar. Systeme lassen sich heute über Gleichungen durchaus ausrechnen, aber man weiß nicht, warum sich ein System so verhält, wie es sich verhält. Wir haben keine anschauliche Vorstellung, was da wirklich passiert.

Drillingsraum: Glauben Sie an die Theorie der Verborgenen Variablen?

Dr. Gerd Binnig: Nein, da glaube ich nicht dran. Ich glaube, dass das eher über Intelligenz erklärbar ist. Über Intelligenz von Teilchen. Geht man in der Geschichte zurück, konnten sich die Leute damals nicht vorstellen, dass Tiere intelligent sind. Wir haben aber gelernt: Doch, sie sind intelligent. Und schauen Sie sich mal an, wie eine Zelle aufgebaut ist. Das ist ein gigantisches Netzwerk aus Proteinen, die alle miteinander verknüpft

sind. Das ist so ähnlich, wie unser Gehirn funktioniert. Eine Zelle ist ein intelligentes Wesen. Sie ist kaum sichtbar für unser Auge, hat aber eine immense Intelligenz: Sie kann auf komplexe Reize intelligent reagieren. Hätte das einer vor 50 Jahren
"Im Prinzip kann man
sich vorstellen, dass
Elementarteilchen eine
Intelligenz besitzen"

behauptet, wäre er ausgelacht worden. Denken wir mal ein bisschen weiter und gehen zum Elektron. Würde man heute sagen: Das Elektron ist ein intelligentes Wesen - die Leute würden wieder lachen. Ich glaube aber, dass man da aufwachen wird. Im Prinzip kann man sich nämlich vorstellen, dass auch Elementarteilchen eine gewisse Intelligenz haben.

Drillingsraum: Weil sie mit der Umgebung wechselwirken?

Dr. Gerd Binnig: Ja, und vielleicht reagieren sie sinnvoll. Sie haben gelernt, angemessen zu reagieren, und dadurch überlebt. Das ist meine Vorstellung. Ich kann jetzt aber keine konkrete Theorie angeben, wie das gehen könnte. Zusammen mit einem Studenten habe ich spaßeshalber mal folgendes durchgespielt: Wir haben ein einfaches Modell gemacht, in dem ein Teilchen, das frei im Raum herumhüpfen konnte, irgendwelchen Reizen ausgesetzt wurde. Mit der Zeit lernt dieses Teilchen, den Reizen auszuweichen. Es hat die Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit, mit der es nach links springt, zu vergrößern. Es springt dann nicht mehr rein zufällig in irgendwelche Richtungen, sondern eben eher nach links. Geht man mit diesem Modell etwas weiter, steht da die Relativitätstheorie.

Drillingsraum: Klingt erstaunlich.

Dr. Gerd Binnig: Ja.

Drillingsraum: In vielen Bereichen der Physik trifft man zwangsläufig auf relativistische Effekte, beispielsweise in Teilchenbeschleunigern oder bei der Untersuchung der Lebensdauer von Teilchen in kosmischer Strahlung. Gäbe es heute die Relativitätstheorie, auch wenn es Einstein nicht gegeben hätte? All diese Effekte wären doch irgendwann mal genauer untersucht worden.

Dr. Gerd Binnig: Absolut, natürlich. Gerade die spezielle Relativitätstheorie lag ein bisschen in der Luft. Die allgemeine war noch einen Schritt weiter weg, aber die spezielle wäre ein paar Jahre später auch so entdeckt worden. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Einstein war eben doch ein großes Genie, und hat sie dann sehr schnell gefunden. In diesem Fall war sogar die Mathematik dafür schon da. Ich denke, bei allen großen Entdeckungen ist es so, dass die irgendwann auch andere Leute gemacht hätten. Beim Fall Darwin beispielsweise gab es noch jemanden in Australien, der parallel zu ihm diese Evolutionstheorie entwickelt hat. Das war ja auch eine geniale, vielleicht die genialste Theorie überhaupt, die es je in der Wissenschaft gegeben hat. Wenn ein Rätsel gestellt ist, lässt die Antwort meist nicht lange auf sich warten.

Drillingsraum: Sollte die Kausalität ihre Gültigkeit behalten, existiert keine menschliche Kreativität und kein freier Wille: Der komplette Ablauf des Universums, uns eingeschlossen, wäre dann durch das Actio-Reactio-Prinzip festgelegt - seit dem Urknall. Möglicher Ausweg: In der Quantenmechanik beherrscht der Zufall die Welt, Dinge im Mikrokosmos passieren willkürlich, zufällig, ohne erkennbaren Grund. Mit keinem dieser beiden Szenarien können wir uns anfreunden. Eines davon muss es aber sein. Oder gibt es neben der Quantenmechanik noch einen anderen Ausweg aus diesem „Kausalitäts-Dilemma“?

Dr. Gerd Binnig: Ja, das sehe ich so. Dieses Problem betrachte ich allerdings ein bisschen anders: Evolution findet überall statt. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch der Raum evolutionär entstanden ist. Wir wissen heute einiges über Materie, aber noch nicht alles. Über den Raum wissen wir gar nichts. Ich glaube, dass alles,

gerd-binnig
"Die Quantenmechanik
muss erklärbar sein,
nicht nur formulierbar"
was es heute gibt, nur durch den Zufall hat entstehen können. Einstein hat gesagt: Gott würfelt nicht. Ich verstehe nicht, warum er diesen Satz gesagt hat, denn er kannte die Theorie von Darwin, in der der Zufall eine große

Rolle spielt: Abwandlungen und Mutationen von Lebewesen verlaufen nicht gezielt. Mit der Zeit werden diese Veränderungen zwar eingeschränkt, aber am Anfang waren Mutationen rein zufällig. Oder nehmen wir ein Quant, das von irgendwo aus dem Universum auf uns trifft und unsere DNS schädigt. Das ist doch zufällig!

Drillingsraum: Zufällig? Man könnte hier wieder argumentieren: Wenn alles durch das Actio-Reactio Prinzip festgelegt ist, dann hat die Bahn dieses Lichtteilchens eine Ursache.

Dr. Gerd Binnig: Das stimmt. So dachte man im 19. Jahrhundert, aber dann kam die Quantenmechanik. Dadurch geht das schon prinzipiell nicht mehr. Später kam dann noch die Chaostheorie. Seit dieser weiß man, dass auch die alte Denkweise schon nicht ganz korrekt war. Solche chaotischen Systeme kann man einfach nicht mehr berechnen.

Drillingsraum: Weil unsere Fähigkeiten und Computer es nicht zulassen, oder weil es prinzipiell unmöglich ist?

Dr. Gerd Binnig: Schauen Sie, bereits die Betrachtung eines winzigen Systems führt zu Schwierigkeiten. Nehmen wir mal ein Bild: Zu versuchen, durch immer wieder neue Kombination verschiedener Pixel solche Objekte zu erzeugen, die eine Bedeutung haben könnten, ist unmöglich. Wir haben hier ein kombinatorisches Problem, das in seinem Umfang explodiert. Das bekommen die besten Rechner nicht hin, auch nach einer Rechenzeit von 100 Jahren würden die keine Ergebnisse liefern. Und jetzt nehmen Sie mal die ganze Welt. Es ist unmöglich.

Drillingsraum: Für uns.

Dr. Gerd Binnig: Für jedes System. Es gibt kein System, das die Welt berechnen könnte. Prinzipiell nicht. Weil diese kombinatorischen Möglichkeiten so immens explodieren. Da würde ich sagen: Da ist Quantität schon wieder Qualität. Das ist eine solch unglaubliche Menge an Information, die da verarbeitet werden müsste. Wer sollte das tun? Und selbst wenn man die ganze Welt als Computer nimmt, das geht grundsätzlich nicht. Selbst wenn es keine Quantenmechanik gäbe.

Drillingsraum: Handelten die Physiker bei der Einführung der Quantenmechanik innovativ, intuitiv oder kreativ?

Dr. Gerd Binnig: Bei der Quantenmechanik ist es glaube ich eine Mischung gewesen, eine Überlagerung dieser drei Zustände (lacht). Einige waren vom Prinzip her gegen diese Theorie, sie haben sie mehr als kleine Notlösung gesehen. Einstein war ja absolut gegen die Quantenmechanik, hat aber trotzdem wichtige Beiträge dazu geliefert. Ich glaube, der Einstein war schon ein intuitiver und kreativer Mensch. Und sehr phantasievoll, das ist gar keine Frage. In vielen Fällen war es auch ein Ausprobieren. Man denke nur mal an die Dirac-Gleichung: Dort versucht man, die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie zusammen zu bringen. Da hat man einfach solange rumgefriemelt, bis irgendwann etwas rausgekommen ist, das funktioniert hat.

Drillingsraum: Das ist ja so eine Sache, die Quantenmechanik mit der Relativitätstheorie zu verbinden. Glauben Sie, dass es so etwas wie eine Weltformel geben muss?

Dr. Gerd Binnig: Ich glaube, dass die Weltformel über die Intelligenz der Teilchen zu finden ist. Nehmen wir nochmal dieses Modell, das ich vorhin erklärt habe. Ich denke immer darüber nach: Könnte man quantenmechanisches Verhalten dadurch erklären, dass ein
"Ich glaube, dass
die Weltformel über
die Intelligenz der
Teilchen zu finden ist"
gerd-binnig

Teilchen intelligent ist? Kann es auf äußere Reize reagieren und dadurch dazulernen? Ein Elektron bewegt sich mit einer Zitterbewegung durch den Raum, ein ähnliches Prinzip gibt es auch in der Quantenmechanik. Eine weitere wichtige Rolle spielen Welleneigenschaften: Wie kann ein Teilchen mit sich selbst interferieren? Wie kann das gehen?

Drillingsraum: Widerspricht jeglicher Logik von uns.

Dr. Gerd Binnig: Ja. Da kennt man nichts Vergleichbares. Aber ich denke, irgendjemand wird irgendwann einmal eine Idee finden, wie die Welt funktioniert. Das kann relativ schnell gehen, es braucht nur einen simplen Gedanken und es ist passiert. Das kann morgen sein, oder erst in 100 Jahren. Aber ich glaube, dass es nicht länger als 100 Jahre dauern wird.

Drillingsraum: Was würden Sie einem jungen Physikstudenten heute für einen Ratschlag mit auf den Weg geben?

Dr. Gerd Binnig: Man muss sich überlegen: Wie sieht die Zukunft der Physik aus? Dazu gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Ich höre manchmal: „Die Zeit der Physik ist vorbei, nun beginnt die Zeit der Biologie.“ Ich glaube aber, dass das Thema Komplexität das größte Problem darstellt, das es heute gibt. Es ist ein Thema, von dem wir erst sehr wenig verstehen. Das ist für mich aber das Problem Nummer 1 in unserer heutigen Welt, und nicht die Weltformel. Wie löse ich das Thema Komplexität? Wie kann man mit Komplexität umgehen? Was gibt es da für Mechanismen? Ich persönlich glaube, dass die Physiker die Geeignetsten wären, um mit diesem Thema umzugehen. Sie sind die ersten Anwender der Mathematik. Alle anderen können ihre Erkenntnisse dann benutzen, das ist in der Vergangenheit ja schon oft so gewesen: Physiker haben etwas Grundlegendes entwickelt, und andere haben es dann benutzt. Alle Chemiker und Biologen verwenden heute die Physik, im Prinzip ist Mikro-Biologie heute nichts anderes mehr als Physik. Man kann keine vernünftige Biologie mehr machen, wenn man sich nicht die Frage stellt, welche physikalischen Eigenschaften Atome oder Moleküle haben. In der Chemie ist es genau gleich. Prinzipielle, in der Physik entwickelte Grundideen dringen in alle Bereiche ein. Die Physik ist nun gefordert, die Grundlage für alle anderen zu legen, um mit Komplexität besser umgehen zu können. Ein bisschen was habe ich in dieser Richtung bereits gemacht, aber das ist noch ein weiter Weg.

Drillingsraum: Sie geben den Physikstudenten also doch noch Hoffnung für die Zukunft.

Dr. Gerd Binnig: Ja, aber man muss die richtigen Themen behandeln. Eigentlich entspricht das Thema Komplexität nicht der Denkweise eines Physikers: Physiker machen Systeme so einfach wie es nur geht, sie zerhacken sie in viele kleine Unterprobleme. Beim Thema Komplexität dagegen müssen diese einzelnen Blöcke

gerd-binnig
"Das Thema
Komplexität stellt das
größte Problem dar,
das es heute gibt"
auch wieder zusammen geführt werden. Es ist nicht die übliche Denkweise eines Physikers, an so etwas heranzugehen. Hier muss deshalb etwas Neues kommen, es muss ein Umdenken stattfinden. Einige sind bereits auf dem Weg dazu, aber das ist eine kleine Minderheit.

Drillingsraum: Jetzt haben wir viel über die Vergangenheit und Ihre aktuellen Projekte gesprochen. Was für Pläne haben Sie denn für die Zukunft?

Dr. Gerd Binnig: Ich mache das in dieser Firma jetzt schon ziemlich lange, über zehn Jahre. Es muss in nicht allzu ferner Zeit mal etwas Neues kommen. Es wird irgendwas Kreatives sein, da bin ich mir ganz sicher. Aber was genau das sein wird, kann ich noch gar nicht sagen.

 

Vielen Dank für das Interview.

 
 
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