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gerd-binnig
Nobelpreisträger Dr. Gerd Binnig am 18.8.2010
Fotos: Michael Hauck
© drillingsraum.de

 

Dr. Gerd Binnig studierte Physik in Frankfurt am Main und wurde im Jahr 1986 zusammen mit seinem Kollegen Heinrich Rohrer mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Heute arbeitet er in seiner Firma Definiens an einer speziellen Art der Bildanalyse.

In diesem Interview spricht Gerd Binnig über seine Zeit als Student, die Entwicklung der Mikroskope, die Kreativität außerhalb des Menschen und die Intelligenz von Teilchen. Er erklärt auch, welches das größte Problem der heutigen Zeit darstellt - und wer es lösen kann.

Ein Drillingsraum-Interview, 18. August 2010
Von Marc Gänsler

 

Drillingsraum: Zu Ihrer Studentenzeit fallen Ihnen nicht nur gute Dinge ein. So beschreiben Sie in einem Ihrer Bücher, dass das Wissen während Ihres Physikstudiums nicht spielerisch genug, nicht handgreiflich genug vermittelt wurde. Wie würden Sie den Studenten theoretische Physik spielerisch und handgreiflich beibringen?

Dr. Gerd Binnig: Ein Anliegen wäre mir immer, einen Bezug zum normalen Leben herzustellen. Den gibt es bei praktisch allen physikalischen Phänomenen. Ein anderer Aspekt ist, dass im schulischen Betrieb und in der Universität immer erzählt wird, wie etwas ist. Ausgeklammert wird, wie es hätte sein können. Dadurch ist das Spielerische komplett raus. Wenn man Forschung betreibt, hat man eigentlich nur die Welt vor sich, wie sie sein könnte. Wie sie ist, weiß man ja noch nicht. Damit muss man umgehen: Wie etwas sein könnte. Aus allen Möglichkeiten, die es gibt, die richtige herauszufinden, den richtigen Weg herauszufinden, das ist der eigentlich kreative Prozess. Dieser kommt im Studium nicht vor. Vielleicht ein bisschen im Schulbetrieb, ich muss sagen bei mir war das teilweise so. Es kostet natürlich wesentlich mehr Zeit, das ist die Schattenseite davon. Aber ich denke, es ist absolut wichtig, sich diese Zeit zu nehmen.

Drillingsraum: Mit welchen Zielen haben Sie sich damals dazu entschieden, ein Physikstudium aufzunehmen?

Dr. Gerd Binnig: Hatte ich wirklich schon Ziele? Ich glaube, ich hatte keine Ziele. Ich war einfach neugierig darauf. Ich habe mir gedacht: Das ist bestimmt ein schönes, interessantes Fach und das will ich genauer verstehen. Aber mehr war es nicht, ich habe noch kein Ziel gehabt.
"Hatte ich
wirklich schon Ziele?
Ich glaube, ich hatte
keine Ziele"
gerd-binnig

Drillingsraum: Wie war Ihre Zeit dann so, als Student? Abgesehen von den lerntechnischen Abneigungen.

Dr. Gerd Binnig: Ich war vor dem Studium ein Jahr beim Militär, da kommt man ein bisschen raus. Ich hatte einen schwierigen Start. Mich hat es die ersten Semester ein bisschen erschlagen. Auch weil dort, speziell in Frankfurt, das Studium anders aufgesetzt war. Da kam die theoretische Physik gleich am Anfang, das ist an allen anderen Universitäten in Deutschland nicht so.

Drillingsraum: Mittlerweile gibt es an manchen Universitäten den sogenannten Integrierten Kurs, bei dem die Experimentalphysik und die theoretische Physik gleich zu Beginn gebracht werden. In Tübingen zum Beispiel.

Dr. Gerd Binnig: Ja? Aber ich fand das damals sehr schlecht. In der Mathematik erhält man normalerweise die Grundlagen, die man später in der theoretischen Physik verwendet. Mir wäre es in dieser Reihenfolge lieber gewesen (lacht). Damit wüsste man erstmal, was man da überhaupt macht. Für mich ist das Gift: Formal einfach irgendwas einsetzen, da kann ich gar nicht mit leben, da sträuben sich bei mir die Haare.

Drillingsraum: Sie haben es dann doch geschafft und waren glücklich.

Dr. Gerd Binnig: Ja, aber ich war nicht sehr glücklich. Erst zum Schluss hat es mir Spaß gemacht. Am Anfang musste ich mich durchkämpfen. Ich habe damals auch eher andere Dinge als das Studium im Kopf gehabt, wir haben viel Musik und solche Sachen gemacht. In die Vorlesungen bin ich oft gar nicht gegangen.

Drillingsraum: Was haben Sie denn für Musik gemacht?

Dr. Gerd Binnig: Ich habe am Anfang Geige und später Gitarre gespielt. Wir waren eine kleine Musikgruppe, für die ich komponiert und gesungen habe.

Drillingsraum: Schade, dass dieses Interview nur in Schriftform erscheinen wird, sonst hätten Sie uns jetzt etwas vorsingen können.

Dr. Gerd Binnig: (lacht) Das habe ich mal gemacht, bei einem Interview im Deutschen Fernsehen. Frank Elstner hat mich interviewt und ist auf diese Idee gekommen.

Drillingsraum: Was haben Sie damals gesungen?

gerd-binnig
"Ich habe damals
eher andere Dinge
als das Studium
im Kopf gehabt"

Dr. Gerd Binnig: Das war eine Eigenkomposition.

Drillingsraum: Mitte der neunziger Jahre haben Sie die Firma Definiens ins Leben gerufen, die sich mit der Analyse von Bildern auseinandersetzt. Was genau wird da gemacht?

Dr. Gerd Binnig: Angefangen haben wir eigentlich nicht mit der Bildanalyse, sondern mit Simulationen. Der Grundgedanke, der übrigens von einem Journalisten kam, war, mit Komplexität besser umgehen zu können. Er hat für den Stern gearbeitet, viel mit Politikern zu tun gehabt und hatte das Gefühl, dass Politiker und andere Entscheidungsträger eigentlich gar nicht mehr wissen, was sie tun. Heute ist das ein ganz aktuelles Thema, überall in den Zeitungen liest man von der „Komplexitätskrise“. Das ist ein neuer Begriff, der da entstanden ist. Dieser Journalist hat schon relativ früh erkannt, dass das ein großes Problem ist. Sein Grundgedanke war, Software zu entwickeln, die den Leuten in komplexen Entscheidungsprozessen hilft, eine bessere Entscheidung zu treffen. Er hat sich umgeschaut, ist über mein Buch gestolpert und hat mich gefragt ob man da vielleicht etwas gemeinsam machen könnte. Ob man die Grundideen, die in dem Buch formuliert sind, auch in Software einfließen lassen könnte. Ich meinte: Ja, warum nicht. Daraufhin haben wir erstmal versucht, Gelder an Land zu ziehen, was uns irgendwann auch gelungen ist. Es hat zwar ein paar Jahre gedauert, doch dann konnten wir damit loslegen, Simulationen zu machen. Anfangs haben wir uns die Latte aber ein bisschen hoch gehängt: Wir wollten damit anfangen, mehr oder weniger die Welt mit all ihren Faktoren zu simulieren, das war vielleicht ein Tick zu viel (lacht). Bei diesen Simulationen haben wir unsere Informationen aus Satellitenbildern geholt. Das Ganze war ja auch von der Deutschen Umweltstiftung gefördert. Wir haben uns also Informationen über die Natur aus Bildern geholt. Wenn man schon alles automatisch analysiert, kann man auch solche Bilder automatisch verstehen. Dies haben wir gleich miteinbezogen, dadurch mussten wir nicht per Hand irgendwelche Modelle bauen, sondern die Maschine hat diese Modelle selber gemacht. Somit waren wir automatisch bei der Bildanalyse angekommen.

Drillingsraum: Was wird aktuell bei Definiens untersucht?

Dr. Gerd Binnig: Wir haben einen Haufen verschiedener Sachen gemacht. Autos beispielsweise können große Netzwerke bilden und untereinander kommunizieren, auch das stellt ein komplexes System dar. Sie organisieren sich selbst und finden heraus, wie die aktuelle Verkehrssituation ist. Solche Dinge haben wir aber irgendwann weggelassen und uns nur noch auf Bildanalysen konzentriert, hauptsächlich auf Bilder, die von Satelliten oder aus Flugzeugen aufgenommen wurden. Danach sind wir in die Biologie gegangen. Dort erzeugt man Zellkulturen, schüttet irgendwas darüber und guckt, wie sich die Zellen verhalten.

Ebenso in der Pharmaindustrie: Häufig werden dort Mäuse analysiert, die ein bestimmtes Medikament erhalten haben. Man schneidet sie dann in Scheiben um zu schauen, wie dieses Medikament gewirkt hat. Bei solchen Sachen werden unzählige Bilder produziert.
"Wir wollten die Welt
mit all ihren
Faktoren simulieren"
gerd-binnig

Drillingsraum: Und die werden dann automatisch analysiert?

Dr. Gerd Binnig: Die werden automatisch analysiert. Im nächsten Schritt sind wir in die Medizin, um Bilder aus der Computertomographie oder der Krebsuntersuchung vollautomatisch zu analysieren und Diagnosen abgeben zu können. Hat ein Patient Krebs, untersucht man die Größe seiner Lymphknoten, um zu sehen, ob sich dort Metastasen abgesetzt haben. Falls das so ist, will man natürlich wissen, ob diese bei einer entsprechenden Therapie kleiner werden. Das kann man vollautomatisch über eine Bildanalyse machen und somit entscheiden, ob die Therapie oder das Medikament hilft, oder nicht.

Drillingsraum: Wie sieht Ihr aktuelles Forschungsinteresse außerhalb von Definiens aus? Lehren Sie noch an einer Universität?

Dr. Gerd Binnig: Nein, im Moment mach ich nichts in dieser Richtung, ich bin aber noch in Beiräten. In einem Monat beispielsweise werde ich in Venedig sein, dort gibt es eine CeNS-Veranstaltung, Center for Nano Science heißt das, da bin ich im Beirat. Wir werden ein paar Tage dort verbringen und schauen, was die Studenten machen. Nicht nur die Studenten, auch die Professoren, die dort Vorträge halten.

Drillingsraum: Hat man da auch noch ein bisschen Zeit, um sich die Stadt anzuschauen?

Dr. Gerd Binnig: Ja, am Abend geht man gemeinsam durch die Stadt. Zu der Jahreszeit ist das ganz toll. Da sind die Touristen im Großen und Ganzen weg, dann ist die Stadt super. Das kann ich nur empfehlen (lacht).

Drillingsraum: Kommen wir noch zu einer anderen schönen Stadt, und zwar zu Stockholm: 1986 wurden Sie zusammen mit Ihrem Kollegen Heinrich Rohrer für die Entwicklung des Rastertunnelmikroskops mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. Erzählen Sie mal: Wie läuft eigentlich diese Verleihungszeremonie in Stockholm ab?

Dr. Gerd Binnig: Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern, das ist schon so lange her (lacht). Es war eine spannende Zeit damals. Es war etwas Neues, da fliegen einem die Termine nur so um die Ohren. Ich glaube, eine Woche lang war bei mir jede Sekunde verplant. Auf Bühnen musste ich irgendwas erzählen, es gab Podiumsdiskussionen und so weiter. Eines jagt das Andere. Von der IBM wurden auch noch ein paar Sachen organisiert, in der Summe hat es einen fast erschlagen.

gerd-binnig
"Ein Wissenschaftler
braucht Zeit für
sich selbst"

Drillingsraum: Ist das heute auch noch so?

Dr. Gerd Binnig: Nein, das kann man ja auch selbst ein bisschen steuern. Für mich ist der kreative Prozess das Spannende. Ich bin kein Politiker, Schauspieler oder so etwas, diese suchen die Öffentlichkeit. Aber ein

Wissenschaftler, der einigermaßen kreativ unterwegs ist, braucht Zeit für sich selbst. Wenn man dann nicht irgendwie gegensteuern kann, zerreißt einen das. Geht man oft auf Veranstaltungen, führt das zu sehr vielen Einladungen, das kann geradezu explodieren. Irgendwann muss man sowieso nein sagen, weil man das gar nicht mehr packt (lacht). Deswegen habe ich relativ früh dagegen gesteuert, auch indem ich nicht mehr so oft in Erscheinung getreten bin. Ein Grundrauschen bleibt bestehen, aber im Wesentlichen sage ich immer ab.

Drillingsraum: Die Schattenseiten eines Nobelpreises.

Dr. Gerd Binnig: Ja. Aber wenn man das einigermaßen handhabt, ist das gar nicht so schlimm.

 
 
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