Interview Josef Jochum Seite 1: Einführung
Fragen zum Interview? |
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Interview mit Prof. Dr. Josef Jochum Teil 4: Über das Bullet-Cluster und die Rolle der Dunklen Energie für die Zukunft des Universums
Drillingsraum: Auf dem Bild sieht man das „Bullet Cluster“, ein dynamisches Gebilde aus Galaxienhaufen. Blau eingefärbt ist die vermutete Verteilung der Dunklen Materie. Warum sind Materie und Dunkle Materie hier so sauber voneinander getrennt, wo sie sich doch eigentlich gravitativ anziehen müssten? Prof. Dr. Josef Jochum: Ja da muss man jetzt vielleicht ein bisschen ausholen. Wenn die Abstände größer werden, viele Millionen mal größer als die Abstände im Sonnensystem, dann stimmt der Zusammenhang zwischen Rotationsgeschwindigleit und Abstand, von dem ich eben erzählt hab, plötzlich nicht mehr. Die Umlaufgeschwindigkeit der Objekte ist in der Regel viel zu hoch. Das ist dann wie auf dem Karussell: Wenn sich ein Karrussel zu schnell dreht, dann müsste das Ganze eigentlich auseinander fliegen. Da das nicht der Fall ist, nehmen wir an, dass es eine Materie gibt, die da mehr nach Innen zieht als das was wir sehen. Da kann man sogar ausrechnen, wieviel Dunkle Materie man braucht um diese zu hohe Zentrifugalkraft auszugleichen. Das Bullet-Cluster Bild ist deshalb so interessant, weil es zwei Galaxien-Cluster zeigt, die sich |
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Gravitationspotential messen kann. Und durch die Emission der elektromagnetischen Strahlung kann man die Menge an normale Materie messen. Jetzt sieht man nun, dass die normale Materie dem Gravitationspotential hinterherhinkt. In einer normalen Galaxie liegen Gravitationspotential und Materie am gleichen Ort. Das sind also Wolken, die an der gleichen Stelle liegen. Durch den Stoß am Bullet-Cluster sind das Gravitationszentrum und die Materiewolke voneinander getrennt worden, da durch den Stoß die normale Materie gebremst wurde, das Gravitationspotential aber offenbar nicht. Und das ist nun ein Problem, das man auch mit einer Modifikation des Gravitationsgesetzes nicht mehr hinbekommt. Auch in einem modifizierten Gravitationsgesetz ist das Zentrum des Gravitationspotentials dort, wo die Masse ist. Ich kann nicht sagen die Sonne ist hier, die Planeten kreisen aber um was anderes. Insofern ist das Bullet-Cluster also ein sehr starker Hinweis dafür, dass es sich um Dunkle Materie handeln muss. Die Dunkle Materie ist ja zunächst auch mal nur eine Arbeitshypothese. Wir haben ein Problem, das wir mit unseren bisherigen Theorien nicht erklären können, und jetzt suchen wir nach Lösungen, schauen: Was ist da los? Und da ist die Dunkle Materie eben eine naheliegende Arbeitshypothese. Diese kann man jetzt abtesten indem man schaut, was müsste die Dunkle Materie sonst noch machen, und wie könnten wir das beweisen. Die Variation des Gravitationspotentials ist eine andere Hypothese. Gut, die eine hat halt durch |
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Drillingsraum: Für Sie sind die Messungen am Bullet-Cluster also Beweis genug, dass Dunkle Materie wirklich existiert? Prof. Dr. Josef Jochum: Ich würde sagen, es stützt diese Arbeitshypothese. Aber ich würde jetzt nicht ausschließen, dass wir einmal grundlegend andere Lösungsansätze finden, die uns auch plausibel erscheinen. Letztendlich muss das Experiment entscheiden. Die Dunkle Materie kann das Bullet-Cluster Bild sehr schön erklären. Und wenn es wirklich die Dunkle Materie ist, sollte diese auch noch andere Konsequenzen haben, zum Beispiel sollte man sie dann auch mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit direkt in Detektoren nachweisen können. Oder sie sollte andere Konsequenzen haben, etwa doch wieder durch indirekte Prozesse Strahlung emittieren, die man vielleicht in ein paar Jahren nachweisen kann. Aus dieser Arbeitshypothese ergeben sich entsprechende Experimente, die man tun kann, um sie zu testen. Das Bullet-Cluster macht die Dunkle Materie wahrscheinlicher, es stützt diese Hypothese. Von dem her freut es mich natürlich, da ich auf diesem Gebiet arbeite und meine Arbeitsgrundlage nicht geschwächt wird. Aber ich bin da offen. Es kann aber auch sein, dass in ein paar Wochen irgendein schlauer Theoretiker daherkommt und sagt: Wir haben da einen Fehler mit der allgemeinen Relativitätstheorie gemacht, die muss man anders berechnen. Die linearen Nähreungen, die wir gemacht haben, die sind nicht richtig. Und wenn das dann sogar das Bullet-Cluster erklären kann, vielleicht sogar viel eleganter, ohne Dunkle Materie, dann haben wir das Problem auch gelöst. Dann bin ich genauso zufrieden. Drillingsraum: Heutige Vorstellung über die Zusammensetzung des Universums: 73% Dunkle Energie, 23% Dunkle Materie und nur 4% gewöhnliche Materie. Von der Dunklen Energie weiß man so gut wie nichts. Trotzdem sagen wir, dass sie den größten Teil des Universums ausmacht. Woher weiß man das? Prof. Dr. Josef Jochum: Ja, das ist jetzt wieder die Frage. Das ist wiederum nur eine Arbeitshypothese. Dunkle Energie, das ist so ein griffiges Wort, das viele Mysterien weckt. Aber letztendlich handelt es sich da um einen Zusatzterm in den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie, der sogenannten Kosmologischen Konstante, die Einstein zunächst eingebaut hatte um ein statisches, stabiles Universum zu bekommen. Wenn Sie ein Universum aus nur statischen Objekten aufbauen, die sich vorerst nicht bewegen, sich aber gravitativ anziehen können, würde Ihr Universum kollabieren. Und hier erlauben die Gleichungen, dem Vakuum eine abstoßende Wirkung zu geben, was das Ganze dann stabilisiert. Später hat man dann die Expansion des Universums |
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Normalerweise benutzt man ja die Rotverschiebung, um Abstände zu messen: Je weiter man geht, desto stärker ist etwas rotverschoben. Doch wenn man jetzt eine unabhängige Methode hat, den Abstand zu messen, kann man die Rotverschiebung als Funktion des Abstandes messen. Und dann sieht man bei großen Abständen eben Abweichungen, die interessanterweise mit so einer Kosmologischen Konstante mathematisch erklärt werden können. Jetzt haben die Physiker das Problem: Woher kommt diese Kosmologische Konstante mikroskopisch? Was ist da der Hintergrund? Und diese Kosmologische Konstante nennt man heute eben Dunkle Energie, der Begriff hat sich einfach durchgesetzt, weil er schicker ist. Drillingsraum: Warum bezieht man die Dunkle Energie überhaupt in diese Rechnung mit ein, sie ist doch gar kein fester Stoff wie Materie oder Dunkle Materie. Wie kann denn etwas aus Dunkler Energie bestehen? Prof. Dr. Josef Jochum: Ja, das ist eine schwierige Frage. Da man eben nicht weiß wo sie herkommt, kann man die Frage auch nicht beantworten. Aber die normalen Ideen, die Teilchenphysikern einfallen um ein Vakuum mit einer Energiedichte zu versehen, die letztendlich scheinbar auch gravitativ abstoßend wirken könnte, sind solche Sachen wie Vakuumpolarisation. Das bedeutet, dass im Vakuum aufgrund der Unschärferelation spontan Elektronenlochpaare entstehen können. Und das kann natürlich auf allen Ebenen, und auch mit allen möglichen Teilchen passieren. Wenn man dann mal aufsummiert, wieviel Energie denn im Durchschnitt in so einem Vakuum drin steckt, kommen da riesige Zahlen raus. Das Problem ist, dass natürliche Erklärungen, wie es die Theoretiker sagen, Werte für die Dunkle Energie ergeben, die gigantisch groß sind, viele viele viele Größenordnungen zu groß, als das was wir sehen. Das heißt, wir haben eigentlich eher das Problem: Warum haben wir so eine kleine Dunkle Energie, und warum ist sie nicht Null. Denn wäre sie Null, hätten wir wieder sagen können: Ok, da gibt es einen Symmetriebruch, der eine Term cancelled sich gegen den andern, so das am Ende wieder Null rauskommt. Aber jetzt haben wir halt doch einen Wert, und es ist ein ungeklärtes Problem, woran das liegt. Es ist ganz klar, dass es mit bisherigen Modellvorstellungen nicht erklärbar ist. Es gibt viele Versuche, das Ganze mikroskopisch, letztendlich teilchenphysikalisch zu erklären, dass es sich zum Beispiel wiederum um ein Kondensat eines Teilchens aus einem frühen Phasenübergang handelt, welches dann |
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Drillingsraum: Ein Szenario für das Ende des Universums nennt sich Big Rip. Dieses besagt, dass das Universum aufgrund der Dunklen Energie immer schneller und schneller expandieren wird, und letztendlich auseinanderreißt. Was ist da dran? Prof. Dr. Josef Jochum: Ja, das ist rechnerisch richtig, ja. Aber das ist jetzt wiederum eine Extrapolation, dass das, was wir im Moment sehen, viele Milliarden Jahre lang so weiter geht. Also da wäre ich einfach skeptisch, dass man soweit extrapolieren kann, bis ins Extreme. Also das kann sein, das wäre durchaus möglich, aber ehrlich gesagt gefühlsmäßig würde ich es nicht glauben. Das ist einfach zu weit extrapoliert.
Vielen Dank für das Interview |
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